Warum wird Kindesunterhalt nicht gezahlt?

14. März 2023

Jedes Jahr wird in den Medien berichtet, dass der Kindesunterhalt in immer weniger Fällen gezahlt wird. Leider hört die Recherche der meisten Redaktionen an dieser Stelle auf. FSI analysiert die Ursachen des zunehmenden Unterhaltsausfalls.

Kann man Unterhalt einfach so verweigern?

Beide Eltern eines Kindes sind grundsätzlich zu dessen Unterhalt verpflichtet (§ 1601 BGB). Wer das Kind zeitlich mehr betreut, hat damit seine Unterhaltspflicht abgegolten (§ 1606 BGB). Der andere Elternteil hat seinen Unterhalt - unabhängig von der eigenen Betreuungsleistung - als Barunterhalt in Form von Geld zu zahlen (§ 1612 BGB).

Zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche sind bei den Jugendämtern Beistandschaften eingerichtet (§ 1712 BGB). Diese berechnen die Höhe des Unterhalts, titulieren ihn in Form einer Jugendamtsurkunde (§ 59 SGB VIII) und setzen ihn durch (§ 60 SGB VIII), beispielsweise durch Gehalts- oder Kontopfändung. Beistandschaften sind also kostenloser Anwalt, Notar und Inkassobüro in Personalunion. Alternativ kann auch über eine Unterhaltsklage beim Familiengericht einen Titel erwirkt werden - dies sind meist kurze und für Anwälte sehr lukrative Prozesse.

Titulierte Unterhaltsschulden bleiben selbst bei Privatinsolvenz erhalten (§ 302 InsO). Weiter ist die vorsätzliche Verletzung der Unterhaltspflicht eine Straftat (§ 170 StGB).

Um den Barunterhalt zu sichern besteht weiterhin eine "gesteigerte Erwerbsobliegenheit" (§ 1603 BGB) von 48 Arbeitsstunden pro Woche. Zwar darf man auch Unterhaltspflichtige nicht zur Arbeit zwingen, aber man kann ihnen das in dieser Arbeitszeit erzielbare Gehalt als "fiktives Einkommen" anrechnen und damit in das Existenzminimum pfänden.

Fazit: Kindesunterhalt ist mit massiven staatlichen Durchgriffsrechte versehen, die nur noch von der Durchsetzbarkeit bei Steuerschulden übertroffen werden. Die Verweigerung von Kindesunterhalt ist ein Straftatbestand.

Wie oft kann Kindesunterhalt nicht gezahlt werden?

Wenn man dem Bundesfamilienministerium diese Frage stellt, erhält man die erstaunliche Antwort, dass hierzu keine eigenen Daten erfasst werden (Quelle).

Es gibt dort jedoch Statistiken zum Unterhaltsvorschuss. Wenn der Barunterhalt nicht gezahlt wird, springt der Staat über den Unterhaltsvorschuss ein und holt sich das Geld dann von den Unterhaltspflichtigen zurück. Während inzwischen über 2,5 Milliarden Euro jährlich für den Unterhaltsvorschuss ausgegeben werden, liegt die Rückgriffsquote seit 2017 gleichbleibend bei etwa 18% (BMFSFJ, 2022). Trotz massiver staatlicher Durchgriffsmöglichkeiten kann der Unterhaltsvorschuss also in 82% aller Fällen nicht oder nicht vollständig beigetrieben werden (BMFSFJ, 2017).

Laut einer Veröffentlichgung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW, 2014) wird der Kindesunterhalt in 51% der Fälle nicht und in weiteren 25% nicht in voller Höhe bezahlt. Eine weitere Veröffentlichgung des Deutschen Jugendinstituts (DJI, 2020) kommt zu ähnlichen Ergebnissen (in 53% der Fälle keine Zahlung und in weiteren 24% keine volle Zahlung). Kritisch ist in beiden Fällen die geringe Anzahl der Befragten sowie die einseitige Befragungen der Zahlungsempfänger zu sehen. Auch basieren die Auswertungen lediglich auf Behauptungen ohne weitere Nachweise.

Fazit: Bedauerlicherweise erfasst das BMFSFJ keine eigenen Daten zu diesem wichtigen Thema. Laut den wenigen vorliegenden Veröffentlichungen kann der Barunterhalt in etwa der Hälfte der Fälle nicht und in weiteren 25% nicht voll gezahlt werden, wobei diese Werte aus nur einseitigen Befragungen stammen. Die Ausgaben für Unterhaltsvorschuss steigen seit Jahren, die Rückholquote stagniert bei etwa 18%.

Wird Unterhalt vorsätzlich verweigert?

Die vorsätzliche Verletzung der Unterhaltspflicht ist strafbar, siehe oben. Die kriminalstatistische Auswertung von Partnerschaftsgewalt (denn als solche zählt Unterhaltspflichtverletzung inzwischen) ergibt jedoch einen seit Jahren rückläufigen Trend (BKA, 2022) mit zuletzt 2.600 Anzeigen - nicht Verurteilungen. Dies ist bei rund 2,34 Mio. Trennungskindern (BMFSFJ, 2023) ein verschwindend geringer Anteil von 0,1%.

Fazit: Nein, der Unterhalt wird nicht vorsätzlich verweigert, sonst gäbe es weitaus mehr Strafverfahren nach § 170 StGB.

Und woran liegt es nun?

Es liegt an fehlender Unterhaltsfähigkeit - die finanziellen Ressourcen sind schlicht nicht da. Dies zeigen bereits die Zahlbeträgen der Düsseldorfer Tabelle. In der folgenden Übersicht ist das notwendige Mindesteinkommen (Netto) zur vollständigen Erfüllung der Unterhaltspflicht für ein bis drei Kinder nach Altersgruppe dargestellt. Die Einträge ergeben sich als Summe aus dem notwendigen Selbstbehalt von 1.370 € (Stand 2023) und den zu leistenden Zahlbeträgen.

Altersgruppe0 bis 5
Jahre
6 bis 11
Jahre
12 bis 17
Jahre
1 Kind1.704 €1.773 €1.863 €
2 Kinder gleichen Alters2.038 €2.176 €2.414 €
3 Kinder gleichen Alters2.438 €2.579 €3.026 €
Notwendiges Nettoeinkommen (Mindestbeträge) für vollständige Unterhaltszahlung

In 2022 lag das durchschnittliche Nettoeinkommen jedoch nur bei 2.265 € (Statista, 2022). Es ist also bereits aus dem Vergleich zwischen den Mindestbedarfen und der Einkommensstatistik zwingend logisch, dass es immer mehr Mangelfälle gibt.

Fazit: Reallöhne und Unterhaltsbeträge haben sich in den letzten 40 Jahren immer weiter auseinanderentwickelt. Der Punkt, ab dem das Unterhaltsrecht die überwiegende Mehrzahl der Fälle nicht mehr sachgerecht abbildet, ist seit langem überschritten. Mangelfälle sind inzwischen Regelfälle.

NICHTS VERPASSEN

Newsletter
abonnieren

hello world!
linkedin facebook pinterest youtube rss twitter instagram facebook-blank rss-blank linkedin-blank pinterest youtube twitter instagram