Stellungnahme zur Reform des Kindschaftsrechts

19. Februar 2024

FSI nimmt gemeinsam mit fünf weiteren Verbänden Stellung zum Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums zur Reform des Kindschaftsrechts. Das Papier weist an zahlreichen wichtigen Punkten Leerstellen statt Lösungen auf. Eine Umsetzung der Punkte wird zu weiterer Eskalation an den bereits jetzt überlasteten Familiengerichten führen.

Titel Stellungnahme Kindschaftsrecht 1200x600

Zusammenfassung

Das deutsche Familienrecht bildet die Realität des Familienlebens vielfach nicht mehr ab. Es behandelt Eltern ungleich, verhindert gemeinsame Verantwortungs­übernahme und fördert Konflikte.

Mit der angestrebten Reform des Kindschafts- sowie im Abstammungsrechts sollen diese Fehlanreize überwunden und das Familienrecht modernisiert werden. Konkret heißt es im Eckpunktepapier (EPP) des Bundesjustizministeriums zur geplanten Reform:

„Die Vorschläge zielen zum einen darauf, Trennungsfamilien besser dabei zu unterstützen, eine am Kindeswohl orientierte partnerschaftliche Betreuung minderjähriger Kinder zu verwirklichen. Dazu sollen Autonomie und Gestaltungsmöglichkeiten der Eltern gestärkt werden.“

Die hier genannten Ziele und Verbesserungen für Trennungsfamilien sind im Grundsatz richtig. Sie können jedoch nicht erreicht werden, da sie gar nicht adressiert werden. Hinter der Vielzahl von Änderungen und Anpassungen verbergen sich gerade in zentralen Bereichen riesige Leerstellen. Bei näherer Prüfung offenbart sich so die Erkenntnis: Im Familienrecht geht es einen Schritt vor und zwei Schritte zurück.

Deutschland ist europaweiter Spitzenreiter bei Verurteilungen durch den EGMR in Familiensachen. In keinem anderen EU-Land gibt es bei Trennungen eine ähnlich hohe Prozessquote. Ursache ist, dass unser Familienrecht starke Streitanreize setzt und konfliktförderndes Verhalten nicht begrenzt. Die vorgeschlagenen Eckpunkte ändern nichts daran, dass das Familienrecht eskalierendes Verhalten belohnt und damit systemisch fördert.

So ist es schön, dass im EPP nun die Verankerung einer vollstreckbaren Elternvereinbarung im Gesetz vorgesehen ist, wie bereits Ende 2019 von der damaligen Reformkommission im BMJ gefordert. Bisher braucht es hierfür einen Gerichtsbeschluss, denn private Betreuungs­vereinbarungen der Eltern untereinander sind bisher ohne jede rechtliche Relevanz. Das bekannte Problem, dass entsprechende Beschlüsse faktisch nicht durchgesetzt werden, bleibt jedoch weiterhin bestehen.

Auch eine verpflichtende Mediation, die in vielen anderen Ländern eine deutliche Reduktion des Konfliktniveaus bewirkt hat und die im Rahmen der Elternpflichten nach Art. 6 GG zum Wohle der Kinder durchaus zumutbar wäre, fehlt im Entwurf.

Ein weiteres Beispiel ist die geplante Aufnahme der paritätischen Betreuung („Wechselmodell“) in das Gesetz, in dem bisher nur das Residenzmodell kodifiziert ist. Dies ist ein im Grundsatz begrüßenswertes Ansinnen. Jedoch bleibt die geplante Regelung, die letztlich auf die Wiederherstellung des Veto-Rechts eines Elternteils hinausläuft, noch hinter dem BGH-Urteil von 2017 zur Anordnung der paritätischen Betreuung zurück (BGH XII ZB 601/15).

Das Grundproblem des deutschen Kindschaftsrechts ist die rechtliche Hierarchisierung der Eltern in Betreuungs- und Umgangselternteil. Eine langfristige Lösung wäre eine konsequent gleichberechtigte Elternschaft im Sinne der Art. 3 und 6 GG.

Statt beide Eltern als Betreuungspersonen ihrer Kinder wahrzunehmen, wird jedoch weiterhin in artifiziellen und nicht sachgerechten Stufenmodellen gedacht. Auch das gemeinsame Sorgerecht ab Geburt wird es in Deutschland nicht automatisch geben, während fast alle anderen EU‑Länder dies bereits seit langem umgesetzt haben.

Es ist völlig unverständlich, warum die vorliegenden und überaus sinnvollen Ergebnisse der Expertenkommission von 2019 nahezu keinen Eingang in das EPP gefunden haben. Das entsprechende Thesenpapier wurde inzwischen sogar von Internetseite des BMJ entfernt. Noch weniger ist verständlich, warum es offenbar keinerlei Anstrengungen gibt, aus funktionierenden Regelungen anderer Länder im Sinne eines Best-Practice-Ansatzes zu lernen.

Ein am Kindeswohl orientiertes Kindschaftsrecht muss die gemeinsame Verantwortungs­übernahme der Eltern fördern, eskalierendes Verhalten wirksam sanktionieren und so auf den Erhalt der Beziehung zu beiden Eltern hinwirken (Art. 24 EU-Grundrechte-Charta, Art. 9 UN-Kinderrechtskonvention).

Diese Ziele können durch die Vorschläge des BMJ nicht erreicht werden, weil das EPP auf der konkreten Handlungsebene keine wirksamen Maßnahmen zu deren Umsetzung enthält. Die vorgeschlagenen Eckpunkte beschreiben somit faktisch eine Reform ohne Reform.

Anlagen

Stellungnahme zum Eckpunktepapier Kindschaftsrecht (Langversion)

Anlage 1: PM des Bundesjustizministeriums zur Reform des Kindschaftsrechts

Anlage 2: Expertenkommission zur Reform des Sorge- und Umgangsrechts im BMJV 2019

Anlage 3: Ergenisse der Expertenkommission aus 11/2019

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