Bundesjustizminister Marco Buschmann erhielt Ende März ein Schreiben verschiedener Frauen- und Alleinerziehenden-Verbände zu den aktuellen Reformen im Familienrecht. Wir treten den dort verbreiteten Narrativen mit Nachdruck entgegen und fordern den Gesetzgeber auf, endlich die Rechte und Bedürfnisse der Kinder ins Zentrum zu stellen.
(Der folgende Text ist zur besseren Lesbarkeit sprachlich geglättet. Die Originale finden sich in der Anlage am Ende des Textes.)
Zu dem uns vorliegenden Schreiben einiger Frauen- und Alleinerziehenden-Organisationen möchten wir gemeinsam mit den anderen Verbänden im Netzwerk für Trennungsfamilien kritisch Stellung beziehen.
Beginnen wir mit den Gemeinsamkeiten: Insgesamt besteht Konsens, dass die angestrebten Reformen dringend notwendig sind und das Familienrecht die Bedarfe und Rechte der Kinder – nicht der Erwachsenen – stärker in den Blick nehmen muss. Ebenso sollten Trennungseltern das für sie individuell passende Betreuungsmodell frei wählen können – ohne sachfremde Fehlanreize.
Die Positionen der Alleinerziehenden-Verbände (AE-Verbände) wirken diesen Zielen jedoch diametral entgegen. Man erinnere sich beispielsweise an die euphemistische Kampagne "Vielfalt der Betreuungsmodelle erhalten", mit der dann lediglich das Residenzmodell als Regelfall verteidigt werden sollte.
Es verwundert, dass die AE-Verbände einerseits eine bessere Verteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit fordern und gleichzeitig die paritätische Betreuung, die genau dies leistet, kategorisch ablehnen.
Die überflüssige Diskussion über Betreuungsmodelle wäre sofort beendet, wenn der Gesetzgeber endlich den Mut hätte, die rechtliche Hierarchisierung von Trennungseltern zu überwinden: Beide Eltern betreuen – möglicherweise zu unterschiedlichen Anteilen. Streitanreize würden reduziert, vieles wäre für Trennungsfamilien einfacher.
Ebenso gilt in den meisten westlichen Ländern seit Jahren die gemeinsame Sorge ab Geburt – ohne dass es dort zu den von den AE-Verbänden ausgemalten Katastrophen gekommen wäre. Möglicherweise, weil man „Sorge“ dort weniger als Recht der Eltern, sondern vielmehr als deren Verantwortung gegenüber dem Kind sieht.
Wir sehen daher keinen sachlichen Grund, warum man gleichberechtigte Betreuung und gemeinsame Sorge ab Geburt nicht endlich auch in Deutschland umsetzt.
Diskussionen zum Kindesunterhalt fokussieren in Deutschland oftmals allein auf die finanziellen Interessen der Mutter. Dabei wird vielfach übersehen, dass Mutter und Kind verschiedene Personen sind. Wir möchten daher eindringlich dafür werben, endlich das Kind und seine Bedarfe in das Zentrum der Betrachtungen zu stellen.
Der bestehende Widerspruch zwischen Unterhalts- und Sozialrecht muss aufgelöst werden, denn es kann nur eine Definition des kindlichen Existenzminimums geben.
Der häufigen Argumentation der AE-Verbände über eine vermeintliche „Lebensverlaufsperspektive“ können wir nicht folgen und möchten klar herausstellen: Der Kindesunterhalt dient der Existenzsicherung des Kindes. Er ist kein nachgelagerter Betreuungsunterhalt, keine gleichstellungspolitische Entgeltersatzleistung und auch keine Kompensation für persönliche Lebensentscheidungen erwachsener Menschen.
Der Gesetzgeber muss die Tatsache anerkennen, dass ein Einkommen im Jahr 2024 bereits rein statistisch nicht mehr für die Finanzierung von zwei Haushalten ausreicht. In der Sache befürworten wir eine finanzielle Förderung der elterlichen Erziehungsarbeit. Aber dies kann nicht die Aufgabe des Kindesunterhalts und somit von Einzelpersonen sein, hier braucht es eine gesamtgesellschaftliche Lösung.
Für die Deckung der Bedarfe des Kindes fordern wir eine Gleichbehandlung beider Eltern im Sinne der Art. 3 und 6 GG und somit eine tatsächliche Umsetzung des Prinzips „beide betreuen, beide bezahlen“, wie es auch der Bundesjustizminister in seiner Vorstellung des Eckpunktepapiers zum Unterhaltsrecht formuliert hat. Denn eine bessere Verteilung von Sorgeverantwortung kann systemisch nur bei einer gleichzeitig besseren Verteilung der Erwerbsverantwortung gelingen.
Der Schutz vor Gewalt ist ein Menschenrecht und dessen Durchsetzung somit uneingeschränkt zu befürworten. In der aktuellen Diskussion wird jedoch versucht, über das an sich unterstützenswerte Ziel des Gewaltschutzes ein einseitiges Veto-Recht für Mütter durchzusetzen. Dies erfolgt strategisch durch drei Schritte:
Jeder Mensch hat ein Grundrecht auf Schutz vor Gewalt. Ein geschlechtsspezifisches Straf- oder Familienrecht verstößt gegen das Diskriminierungsverbot nach Art. 3 GG und ist daher unzulässig.
Wir verurteilen, dass das Problem der induzierten Kontaktabbrüche demgegenüber von den AE-Verbänden nicht thematisiert und auch im Eckpunktepapier des BMJ nicht benannt wird. Hier besteht eine nicht nachvollziehbare Leerstelle beim Gewaltschutz.
Es ist wohl unstrittig, dass das Kind ein Menschenrecht auf Beziehung zu beiden Eltern hat (Art. 9 UNKRK, Art. 24 EU-Grundrechtecharta). Induzierte Kontaktabbrüche sind Menschenrechtsverletzungen und psychische Gewalt gegen das Kind und den anderen Elternteil. Kindesentziehung (§ 235 StGB), prozesstaktische Falschbeschuldigungen (§ 164 StGB) oder sonstige Verletzungen der Fürsorgepflicht (§ 171 StGB) werden in Deutschland jedoch regelhaft nicht verfolgt und einseitig eskalierendes Verhalten eines Elternteils somit nicht begrenzt. Derartige Inaktivität ist Ursache für die zahlreichen Verurteilungen der Bundesrepublik in Familiensachen durch den EGMR. Dieser unhaltbare Zustand muss beendet werden.
Die Zivilgesellschaft erwartet ein Familienrecht, das
Das aktuelle Familienrecht deckt keinen dieser Punkte ab. Die dringend notwendigen Reformen müssen von einer möglichst breiten gesellschaftlichen Basis getragen werden. Der dafür notwendige Austausch findet jedoch derzeit nicht ausreichend statt bzw. wird in Teilen bewusst vermieden.
Wir fordern daher einen breiten zivilgesellschaftlichen Dialog, auch unter Einbeziehung der beteiligten Professionen und deren Verbände. Denn nachhaltige Familienpolitik lässt sich nicht gegen die Hälfte der Bevölkerung gestalten – weder gegen die eine noch gegen die andere.
Anlage 2: Antwort des Netzwerks für Trennungsfamilien an den Bundesjustizminister
Transparenzhinweis
Die unterzeichnenden Frauen- und Alleinerziehenden-Verbände des Schreibens vom 27.03.2024 wurden im Jahr 2022 in Höhe von 3,77 Mio. Euro vom Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) gefördert (Quelle).
Die Verbände im Netzwerk für Trennungsfamilien, die sich für gemeinsame Erziehung und den Erhalt beider Eltern einsetzen, erhalten hingegen keine Förderung vom BMFSFJ. Wir finanzieren unsere ehrenamtliche Tätigkeit ausschließlich durch private Spenden.