Geschlechterpolitische Tagung in Kloster Seeon erfolgreich durchgeführt

FSI veranstaltete von Samstag, den 6. auf Sonntag, den 7. November 2021 im Tagungshotel Kloster Seeon (Oberbayern) eine geschlechterpolitische Tagung als Präsenzveranstaltung unter dem Titel „Stärkung ganzheitlicher Ansätze in der Geschlechterpolitik durch Vernetzung wichtiger Akteure“.

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Teilnehmer der Tagung aus Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, NRW, Niedersachsen, Berlin, Thüringen und Sachsen.

29 Frauen und Männer aus den Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Niedersachsen, Berlin, Thüringen und Sachsen nahmen teil. Der Frauenteil betrug ca. 40 %.

Die Tagung wurde gefördert aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales (StMAS).

Gerd Riedmeier, Vorsitzender des Vereins, bedankte sich bei Frau Dr. Christiane Nischler-Leibl, Leiterin von Abteilung VI Gleichstellung im Bayerischen Staatsministerium für die Unterstützung seitens des Ministeriums, für ihre Teilnahme, ihr Grußwort und für ihr Referat über die Arbeit der Abteilung VI des Ministeriums.

Im Tagungskonzept wurde großer Wert daraufgelegt, nach dem jeweiligen Impulsvortrag mit den präsentierten Daten und Fakten zum jeweiligen Thema dem Plenum breite Möglichkeit zum Diskurs zu bieten.

Bei der abschließenden Podiumsdiskussion wurden Forderungen aufgestellt nach gleichberechtigter Herangehensweise der Politik an die Belange und  Bedarfe von Frauen und Männern, Müttern und Vätern.

02 - Dr. Christiane Nischler-Leibl (STMAS) und Gerd Riedmeier (FSI)
Dr. Christiane Nischler-Leibl und Gerd Riedmeier

Die Vorträge im Einzelnen (Kurzzusammenfassung):

1) Die Tagung begann mit dem Referat von Carina Huber von Adami / SKM Augsburg. Frau Huber berichtete von den Erfahrungen des Pilotprojekts „Adami“ als Hilfsangebot für männliche Opfer von häuslicher Gewalt.

Frau Huber zog den inhaltlichen Bogen ausgehend von der Fragestellung „Was ist Gewalt?“ über die Vorgaben der Istanbul-Konvention, mit Einschätzungen zur Dynamik von Gewalt in Partnerschaften bis zu den Beschreibungen der konkreten Betreuung der männlichen Opfer in den Schutzwohnungen. Sowohl das Pilotprojekt Adami in Augsburg als auch sein Pendant Riposo in Nürnberg werden vom StMAS Bayern gefördert; sie werden wissenschaftlich begleitet und evaluiert werden. Spannend war der Verweis auf institutionalisierte Täterinnen-Beratung.

Im anschließenden Diskurs im Plenum wurde darauf hingewiesen, dass im Bereich des Bundesfamilienministeriums diesbezüglich Nachholbedarf bestehe, insbesondere im Umgang mit den vom BMFSFJ veröffentlichten Statistiken zu häuslicher Gewalt. Auch die Auswertungen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) habe Schwächen. Mehrere Wortmeldungen verwiesen auf ein erhebliches Dunkelfeld beim Thema. Das Engagement auch für männliche Opfer häuslicher Gewalt auf Länderebene in Bayern, Sachsen, NRW und in Baden-Württemberg wurde allgemein begrüßt.

04 - Carina Huber - Adami

2) Frau Dr. Sara Bleninger vom Bayerischen Landesamt für Statistik referierte über das Erfassen von Einkommensunterschieden bezüglich des Kriteriums Geschlecht (Gender Pay Gap).

Frau Dr. Bleninger präsentierte die Rechtsgrundlagen und Verfahren zur Datenerhebung und erklärte die Vorgehensweise der Oaxaca-Blinder-Zerlegung der vorhandenen Daten. Erfasst würden Vollzeit und Teilzeit-Erwerbstätigkeiten. Nicht erfasst werden unbezahlte Überstunden; sie werden von den Unternehmen nicht gemeldet.

Im anschließenden Diskurs blieb wenig Raum für die Betrachtung des Umgangs der Politik mit „unbereinigtem“ bzw. „bereinigtem“ Gender Pay Gap.

 Es wurde die Frage diskutiert, ob die Berechnungen mittels der Oaxaca-Blinder-Zerlegung möglicherweise politisch gewollt zum Ergebnis eines bereinigten GPG in Höhe von ca. 6 % (unerklärbarer Rest) führen sollen?   

Gerd Riedmeier verwies darauf, dass in Deutschland alle Arbeitsverträge sich nach Tätigkeiten ausrichten und nicht nach Geschlecht. Es gäbe wohl andere – psycho-sozial bedingte – Gründe für die bestehenden Einkommensunterschiede. Frauen wählten ihre Erwerbstätigkeiten nach anderen Kriterien aus als Männer. Für Frauen seien Nähe zum Wohnort bzw. Sicherheit des Arbeitsplatzes wichtig sowie die Möglichkeit, in Teilzeit arbeiten zu können; für Männer stehe deutlich mehr die Verdienstmöglichkeit im Vordergrund. 

G.R. verwies auf die hohen Raten des GPG (höher als 40 %) in Gegenden, in denen überwiegend Männer sehr gut bezahlte Tätigkeiten in der Autoindustrie übernähmen. Diese Männer sorgten als „Alleinverdiener“ für das Familienauskommen; viele der gut ausgebildeten Ehefrauen blieben jedoch zuhause und übernähmen lediglich Tätigkeiten in 450-Euro-Anstellungsverhältnissen zur „Aufbesserung der Urlaubskasse“. Diese Familien profitierten vom steuerlichen „Ehegattensplitting“ und der beitragsfreien Mitversicherung der Ehefrau in der Sozialversicherung des Alleinverdieners.

Vor dem Hintergrund dieser Fehlanreize sei eine rasche Abnahme des unbereinigten Gender Pay Gaps eher unwahrscheinlich.

05 - Vortrag - Dr. Sara Bleninger - Gender Pay Gap

3) Peter Graeßner referierte über das Mikrozensusgesetz und seine Auswirkungen zur Sichtbarmachung bzw. Unsichtbarkeit von Teilen von Trennungsfamilien.

Offenkundig wurde, wie die gesetzlich vorgeschriebenen Vorgaben zur Datenerhebung es verhindern, dass die zweiten Haushalte in Trennungsfamilien mit ihren Bedürfnissen dargestellt werden können.

Peter Graeßner zitierte dazu den Präsidenten des Statistischen Bundesamtes, Dr. Georg Thiel (2021):

  • „Die außerhalb des gemeinsamen Haushalts lebenden Trennungseltern sind im Mikrozensus nicht als Eltern erkennbar…“
  • „Das Erhebungskonzept bildet damit… nicht alle Facetten der gesellschaftlichen Realität ab.“
  • „Sofern ein Hinweis in eine Gesetzesinitiative des zuständigen BMFSFJ zur Erfassung von außerhalb des Haushalts lebenden Eltern und ihres Engagements bei der Kinderbetreuung im Mikrozensus mündet, wird mein Haus das Ministerium bei der Umsetzung unterstützen.“

Sowohl Mikrozensusgesetz als auch Verdienststrukturehebungen als auch die Zeitverwendungserhebung haben über die Definition des „sächlichen Existenzminimums“ enorme Auswirkungen auf die Sozialleistungen des Staates sowie auf die Festsetzung von Barunterhaltsleistungen in Trennungsfamilien über die „Düsseldorfer Tabelle“.

Aufgrund der Vorgaben bleiben aktuell viele Bedarfe des zweiten betreuenden Elternteils in Trennungsfamilien unsichtbar, so Peter Graeßner. Im Haushalt dieses Elternteils gibt es nach aktueller statistischer Erhebung keine Kinder und keine diesbezüglichen Bedarfe, obwohl in ihm Kinder in erheblichem Umfang betreut würden (Ausnahme: Leistungen nach SGB XII).

Der Reformbedarf ist offensichtlich. Er wird durch die Empfehlungen des im März 2021 erstellten und Ende Oktober 2021 veröffentlichten Gutachtens des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesfamilienministerium bestätigt.

07 - Peter Graeßner - Vortrag Mikrozensusgesetz

4) Frau Dr. Sara Bleninger vom Bayerischen Landesamt für Statistik referierte über „Altersarmut von Frauen und Männern, Bedingungen und Risikofaktoren“.

Datenquellen dafür sind vor allem die „Einkommens- und Verbrauchsstichprobe“, der Mikrozensus sowie die „Statistik der Empfänger von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung“. Grundsicherung ist geregelt im Vierten Kapitel des SGB XII; die Statistik dazu speist sich aus den Verwaltungsdaten der Grundsicherungsträger.

Die Auswertungen der Empfänger von Grundsicherung ergeben dabei folgende Werte: In Bayern beziehen 2,7 % der Männer im Rentenalter Grundsicherung sowie 2,8 % der Frauen. In Deutschland beziehen 3,2 % der Männer im Rentenalter Grundsicherung und 3,2 % der Frauen. Voraussetzung zum Bezug von Grundsicherung ist die Prüfung der Vermögensverhältnisse der Empfänger zur Feststellung der jeweiligen Bedürftigkeit durch die Träger.

Vor diesem Hintergrund sind politische Kampagnen zur Altersarmut wie „gender pension gap“ sensibel zu betrachten.

Eine weitere Auswertung gab Grund zur Diskussion: die „Armutsgefährdungsquote“, die sich an dem „mittleren monatlichen Nettoäquivalenzeinkommen der Haushalte“ orientiert. Danach hätten alleinlebende Männer über 65 Jahre im Mittel 1.802 € monatlich für ihren Haushalt zur Verfügung, alleinlebende Frauen über 65 Jahren 1.707 €. Nicht dabei berücksichtigt sind jedoch Vermögensverhältnisse wie Wohneigentum. Berücksichtigt man die Tatsache, dass Frauen statistisch eine um 5 Jahre höhere Lebenserwartung haben als Männer sowie die Annahme, das gemeinsame Haus ist bis zum Renteneintritt abbezahlt, so stellt sich die Frage nach dem Sinn dieser Auswertung (ohne Einbeziehung der Vermögen).

08 - Vortrag Dr. Sara Bleninger - Altersarmut

5) Dr. Morten Brandt referierte über „Schulische Performance von Mädchen und Jungen: Rollenbilder und -Erwartungen“.

Zu Beginn präsentierte Dr. Brandt die bekannten Zahlen laut Statistischem Bundesamt zu den Schulabschlüssen von Mädchen und Jungen:

„Zwischen 1999 und 2018 haben 2.913.552 (55,5%) Mädchen und 2.336.916 (44,5%) Jungen Abitur gemacht. Ohne Schulabschluss blieben in dieser Zeit 817.423 Jungen (62,6%) und 487.723 Mädchen (37.7%). Jungen bleiben häufiger sitzen, sind auf den Gymnasien unter-, in Haupt- und Förderschulen deutlich überrepräsentiert.“

sowie den signifikant hohen Frauenanteilen bei den Lehrkräften an Betreuungs- und schulischen Einrichtungen wie Kindergarten, Grund-, Haupt- und Realschulen und Gymnasien, gefolgt von der inhaltlichen Auseinandersetzung mit Fragestellungen wie „Feminisierung der Schule?“ oder „Brauchen wir mehr Männlichkeit in der Schule?“

Dr. Brandt zeigte sich sehr zurückhaltend in der Bewertung dieses Gender Gaps, verwies jedoch auf die psychologische Komponente, dass Jungs sich – wenn sie von der Kita über Kindergarten bis Grundschule ausschließlich von Frauen betreut würden - sie sich in einem System wiederfinden, in dem sie Schwierigkeiten zur Identifikation bekommen (können).

09 - Dr. Morten Brandt - Schulische Performance von Mädchen und Jungen

6) Gerd Riedmeier / FSI  beschrieb in seinem Input am Vorabend, wie Geschlechterpolitik in Deutschland aktuell erfahrbar ist, mit den Kapitelüberschriften: „Welche positiven Veränderungen sind in der bundesdeutschen Geschlechterpolitik erfahrbar?“ Und „Was ist der Ist-Zustand?“

Positiv wertete Riedmeier die leicht zunehmende Anzahl von staatlichen Hilfsangeboten für männliche Opfer häuslicher Gewalt, beispielsweise in Sachsen, Bayern, NRW, Baden-Württemberg.

Ähnlich positiv bilanzierte er die Bewilligung von 502.000 € Zuwendung durch BMin Franziska Giffey in 2021 an die LAG Jungen und Männer Sachsen zur bundesweiten Koordination des Aufbaus von Gewaltschutzeinrichtungen auch für Männer (sowie Väter mit Kindern).

Gerd Riedmeier präsentierte (vorab) die Übersicht „Der Weg des Geldes“ in der bundespolitischen Geschlechterpolitik mit den immanenten personellen Verstrickungen. [FSI wird diese Zusammenhänge zeitnah getrennt veröffentlichen]

10 - Gerd Riedmeier - Impuls Geschlechterpoitik
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