FSI diskutiert mit Wissenschaftlichem Beirat im BMFSFJ über Reform des Familienrechts

15. Juni 2022

Der Wissenschaftliche Beirat für Familienfragen im BMFSFJ verteidigte in der Veranstaltung vom 15. Juni 2022 das in seinem Gutachten „Gemeinsam getrennt Erziehen“ vorgestellte „Stufenmodell“ zur Regelung der proportionalen Aufteilung von Kindesbarunterhalt zwischen den Trennungseltern im Verhältnis zu den jeweiligen Betreuungsleistungen.  

FSI war vom Beirat zur Teilnahme an der Videokonferenz geladen und aufgefordert worden, vorab Fragen an die Damen und Herren Mitglieder des Beirats zu stellen. 

FSI stellte in 5 Fragen die Widersprüchlichkeiten und willkürlichen Ungleichbehandlungen der Eltern im vorgestellten „Stufenmodell“ dar. Frage 6 thematisierte die politischen Verquickungen: eine möglicherweise zu große Nähe von Mitgliedern des Beirats zu einseitig ausgerichteten Lobbyverbänden.

Frau Prof. Sabine Walper vom Deutschen Jungendinstitut (dji) referierte ca. 45 Minuten über die Hintergründe des von ihr favorisierten „Stufenmodells“. 

Frau Prof. Michaela Kreyenfeld beschrieb deutlich die Grenzen der Aussagekraft des Gutachtens („Datenlage zu gering“), benannte logische Widersprüche und kommentierte: „wir haben uns schwer getan…“. Frau Prof. Margarete Schuler-Harms stellte vor allem im Hinblick auf die künftige Kindergrundsicherung in zutreffender Weise fest: „Das Gutachten ist nicht auf dem neuesten Stand“.

Bedauerlicherweise thematisierten die Professorinnen nicht die von FSI gestellten Fragen (Moderation Prof. Dr. Jörg Fegert).

FSI freut sich auf den Eingang der Antworten in den nächsten Tagen.


Frage 1 – Widerspruch zwischen Reformbedarf und „Stufenmodell“

Im Analyseteil des Gutachtens „Gemeinsam getrennt Erziehen“ des Beirats wird nachvollziehbar festgestellt, dass eine Unterhaltsregelung für Trennungsfamilien nur dann als gerecht erlebt werden kann, wenn eine erkennbare Entsprechung zwischen Betreuungs- und Unterhaltsanteilen für die Eltern besteht. (vgl. S. 94, Abschnitt "Anteilsbemessung bei asymmetrisch geteilter Betreuung") 

Im Widerspruch dazu empfiehlt der Beirat im Anlagenteil anstatt der angekündigten proportionalen (linearen) Regelung ein Stufenmodell

Von den dargestellten Stufenlösungen favorisiert der Beirat dabei dasjenige Modell, das den engsten Korridor und somit die größte Nähe zum jetzigen, reformbedürftigen Unterhaltsrecht aufweist (vgl. S. 89 / 90).

Wie erklären die Damen und Herren Mitglieder des Beirats diese kognitive Dissonanz zwischen Analyse und Empfehlung?

Frage 2 – Fehlende Gleichbehandlung der Eltern

Dem derzeitigen Unterhaltsrecht liegt ein "Alles-oder-Nichts"-Prinzip zu Grunde. Ein Betreuungsanteil von 44 % wird in der unterhaltsrechtlichen Praxis genauso gewertet wie keine Beteiligung an der Betreuung. Der zeitlich geringere Betreuungsanteil wird damit formaljuristisch unsichtbar gemacht und entwertet. 

Das vom Beirat vorgeschlagene „Stufenmodell“ orientiert sich in weiten Teilen hieran, indem Mitbetreuung erst ab einem Anteil von 33 % berücksichtigt werden soll.

Mit welcher Begründung ignoriert der Beirat in seinem Lösungsmodell die konsequente Gleichbehandlung entsprechend Art. 3 GG für beide Eltern in Trennungsfamilien?

Frage 3 – Bedarfe des Kindes: Sozialrecht vs. Unterhaltsrecht 

Im aktuellen Unterhaltsrecht findet das Existenzminimum des Kindes beim zeitlich weniger betreuenden Elternteil keine Beachtung. Das Unterhaltsrecht steht hier in eklatantem Widerspruch zum Sozialrecht, in dem die Bedarfe der Kinder zeitanteilig über das Institut der "temporären Bedarfsgemeinschaft" berücksichtigt werden.

Insbesondere bei Mangelfällen, mehreren Kindern oder umfassender Mitbetreuung erscheint hier ein regelmäßiger Verstoß gegen Art. 1 GG naheliegend, da das Existenzminimum der Kinder aus dem Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen bezahlt wird.

Welche Maßnahmen schlägt der Wissenschaftliche Beirat konkret vor, um das Existenzminimum der Kinder auch im Haushalt des zeitlich weniger betreuenden Elternteils zu garantieren?

Frage 4 – Sozialleistungsbezug als Ausweg für unterhaltspflichtige Eltern?

Die Empfehlung des Wissenschaftlichen Beirats sieht in seinem Stufenmodell vor, dass eine Betreuungsleistung von unter 33 % nicht honoriert wird. Die Eltern im zweiten Haushalt sollen zu 100 % unterhaltspflichtig verbleiben. Eltern, die bis zu 44 % Betreuungsleistung übernehmen, sollen den Barunterhalt lediglich um 33 % kürzen dürfen.

Dabei stehen bereits heute viele mitbetreuende Elternteile finanziell stark unter Druck und sind oftmals nicht in der Lage, den Barunterhalt für die Kinder vollständig zu leisten.

Für diese Eltern ist die Kombination von einerseits (politisch gewünschter) hoher Betreuungsleistung („Care-Arbeit fair teilen!“) bei andererseits hoher Barunterhaltspflicht mit „erhöhte Erwerbsobliegenheit“ nicht vereinbar. Hinzu kommen die Bedarfe der Kinder in diesem Haushalt (siehe Frage 3).

In dieser Situation erscheint für diese Eltern der Sozialleistungsbezug (Aufstockung) oftmals ökonomisch sinnvoller ist als eine Vollzeit-Erwerbstätigkeit. 

Wie positioniert sich der Beirat zu diesem Phänomen?

Frage 5 – Fehlleitende BGH – Regelungen zum Unterhalt

Im Falle von annähernd gleicher Betreuung (45 % bis 55 % nach Gutachten) präsentiert der Beirat eine Unterhaltslösung, in der von den Netto-Einkommen beider Eltern in einem ersten Schritt der jeweilige „Selbstbehalt“ laut Düsseldorfer Tabelle abgezogen wird. Im nächsten Schritt soll aus den Restbeträgen die proportionale Aufteilung von Barunterhalt für die Kinder berechnet werden.

Diese Methode ist willkürlich und führt gewollt und zwangsläufig zum Ergebnis, dass der mehr verdienende Elternteil überproportional zum Barunterhalt herangezogen wird.

Aus welchem Grunde präsentiert der Beirat eine derart willkürliche Lösung?

Frage 6 – Fehlende Neutralität durch zu große Nähe zu Lobbyverbänden?

Viele Aspekte im Lösungsvorschlag des Beirats („Stufenmodell“) legen die Vermutung nahe, es sollten wohl vor allem die Interessen von sogenannten „alleinerziehenden“ Eltern befriedigt werden.

Die Empfehlungen zu einer zukünftigen Unterhaltsregelung im Beiratsgutachten und das Positionspapier des „Verbandes Alleinerziehender Mütter“ (VAMV) hierzu weisen vielfältige Parallelen auf. 

Dabei ist klar: Die meisten Eltern in Trennungsfamilien sind „getrennt erziehende“ Eltern. (Bei echten Alleinerziehenden ist der zweite Elternteil verstorben oder nicht in der Lage, für seine Kinder zu sorgen).

Insbesondere die Tatsache, dass die Direktorin des Deutschen Jugendinstituts (dji) Frau Prof. Sabine Walper in besonderer Weise in die Erarbeitung des Gutachtens involviert war, führt zur Frage, wie neutral der „Wissenschaftliche Beirat“ in dieser Konstellation arbeiten kann.

Das dji wird von wenigen Mitgliedern kontrolliert. Prominente Mitglieder sind u. a. die Geschäftsführerin des „Verbandes Alleinerziehender Mütter“ (VAMV) sowie die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Frauenrats (DF). Vertreter von Väterverbänden oder von Verbänden, die sich für beide Eltern in Trennungsfamilien engagieren, fehlen.

Frau Prof. Sabine Walper tritt regelmäßig bei Veranstaltungen des VAMV auf, nicht jedoch bei Veranstaltungen, die auch die Eltern in den zweiten Haushalten berücksichtigen wollen. Auch hier stellt sich die Frage, wie neutral der Beirat unter diesen Umständen arbeiten kann.

Welche Veränderungen wird der Wissenschaftliche Beirat vornehmen, um den Gout einer einseitigen Bedienung von Lobbyinteressen zukünftig zu vermeiden?


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